Das Mädchen, das den Steinadler knuddelt

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Aisholpan aus dem Film „The Eagle Huntress“ mit ihrem Steinadler. (Sony Pictures Classics)

Die Geschichte des preisgekrönten Dokumentarfilms „The Eagle Huntress“ (2016) ist einfach und daher rasch erzählt. Aisholpan, ein 13-jähriges Mädchen aus der Mongolei, möchte dem Weg ihrer männlichen Vorfahren folgen und Adlerjäger werden. Eines Tages reitet sie deshalb mit ihrem Vater ins Altai-Gebirge, um nach einer gefährlichen Kletterpartie ein junges, noch nicht flugfähiges Steinadler-Weibchen aus einem Nest zu holen. Die kasachischen Nomaden richten die Steinadler vor allem für die Jagd auf Füchse und Hasen ab.

Aisholpan zeigt nicht nur keinerlei Furcht vor dem mit Klauen und Schnabel bewehrten Greifvogel, sie verfügt auch über grosses Talent im Umgang mit dem wilden Tier. Bald beherrscht sie die Techniken der Beizjagd so gut, dass sie an einem Wettkampf teilnehmen kann und dort gegen erfahrene männliche Adlerjäger gewinnt. In einer Disziplin stellt sie gar einen neuen Rekord auf. Trotz abschätziger Bemerkungen einiger Adlerjäger wagt sie es, im strengen Winter auf die Jagd zu gehen. Nach einigen missglückten Versuchen gelingt es ihr, mithilfe ihres Steinadlers einen Fuchs zu erlegen. Nun ist Aisholpan eine richtige Adlerjägerin geworden.

Der Regisseur Otto Bell preist den knapp 90-minütigen Dokumentarfilm als eine Geschichte der Emanzipation an: Ein Mädchen setzt sich in einer nomadischen Tradition gegen eine männliche Übermacht durch. Das tönt zwar gut, stimmt aber nicht.

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Bartgeier-Ausstellung mit bester Aussicht

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Die Zierde der Ausstellung: Ein präparierter Bartgeier. Wer Glück hat, erspäht einen lebenden  Gypaetus barbatus rund um den Torre Belvedere im Oberengadin. (Bild: Markus Hofmann)

Am 24. Juni kam die schlechte Nachricht. BG960 ist tot. Das Bartgeier-Weibchen, geschlüpft in einer spanischen Aufzuchtstation am 2. März dieses Jahres, ausgesetzt am Pfingstmontag anfangs Juni bei der Melchsee-Frutt, hat einen Sturz nicht überlebt. Ja, auch Vögel, vor allem junge, können abstürzen. Auch wenn dieser Tod ein bedauerlicher Verlust ist, der Wiederansiedlung der einst ausgerotteten Bartgeier im Alpenraum tut er keinen Abbruch. Ohnehin: 12 Prozent aller ausgesiedelten Bartgeier überleben das erste Lebensjahr nicht. Seit 1986 wurden über 200 Bartgeier in den Alpen ausgesetzt, in der Schweiz sind es über 40. Derzeit besiedeln wieder bis zu 250 Bartgeier den Alpenraum. Wer mehr über die früher auch Lämmergeier genannten Vögel mit einer Spannweite von knapp drei Metern erfahren will, kann dies nun in Maloja tun. In einer kleinen, aber spektakulär gelegenen Ausstellung. Weiterlesen

Vögel singen nicht

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Amsel schackern, orgeln, rollen und quirlen.

Nüchtern ist die Sprache der Wissenschafter. Zu den Lautäusserungen der Vögel sagen sie: Lassen die Vögel in ihrem Stimmkopf Luft an den Membranen vorbeiströmen, beginnen diese zu schwingen, und es entstehen Laute, die den Vögeln als akustische Signale dienen. Der Laie sagt dem gemeinhin: Vögel singen und rufen. Derzeit kann man am frühen Morgen oder nach Feierabend die Amselmännchen hören, wie sie, ganz oben auf einem Baum oder einem Hausdach stehend, virtuos singen. Doch singen die Amseln wirklich? Nein, sie schackern, orgeln, rollen, quirlen, am Ende einer Strophe schnirpen sie, und klingt es ausnahmsweise nicht besonders schön, dann schirkt die Amsel. Weiterlesen

„Giruno“ – ornithologischer Sprachenstreit im Land der Bahnfahrer

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Girun da mieurs. So heisst der Mäusebussard auf Rätoromanisch. Oder heisst „girun“ Bartgeier? (Bild: Spencer Wright, North Walsham, England)

Die Schweiz, das Land der Bahnfahrer, hat einen neuen Zug. Der Hochgeschwindigkeitszug der Stadler Rail wurde gefeiert wie die Schweizer Nationalmannschaft, wenn sie denn mal weiter als bis ins Achtelfinal einer Fussballmeisterschaft vorstossen würde. Der neue Zug trägt auch einen Namen – und da beginnt der Streit. Er heisst nämlich „Giruno“. „Giruno“? Laut dem Chef der Stadler Rail, Peter Spuhler, sei dies rätoromanisch und bedeute „Mäusebussard“.

Nun melden sich die Rätoromanen zu Wort. Zum einen heisse es nicht Giruno, sondern „girun“, sagen sie. Und zum anderen sei der „girun“ nicht der Mäusebussard, sondern der Turmfalke oder gar der Bartgeier. Was gilt? Weiterlesen

Ehre sei dem Steinschmätzer!

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Der Steinschmätzer: kleiner Rekordhalter unter den Singvögeln.

Was gibt es nicht alles für Tage: Es gibt den Tag der Blindenschrift, den Weltknuddeltag, den Tag der Zöllner, den Welttag des Radios, und kommenden Sonntag wird der Tag der Floristen – sprich: der Muttertag – begangen.

Heute nun aber ist der Tag der Zugvögel!

Während die Mütter bereits seit über 100 Jahren gefeiert werden, kommt den Zugvögeln diese Gunst erst seit 2006 zu. Einen Vorläufer des Zugvogeltages, der sich auf den amerikanischen Kontinent beschränkt, gibt es bereits seit 1993.

Zum diesjährigen Weltzugvogeltag soll einem wahren Langstreckenflieger die Ehre erwiesen werden: dem Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe). Der Steinschmätzer ist ein weitverbreiteter Singvogel. Er brütet in Europa, in Ostkanada, Alaska, Nordasien und auf Grönland sowie Island. Seine Überwinterungsgebiete liegen aber südlich der Sahelzone; er muss also jährlich zweimal über die unwirtliche Sahara fliegen. Weiterlesen

Was tun mit Saatkrähen: Erschrecken? Vertreiben? Umsiedeln? Erschiessen?

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Saatkrähen-Kolonie in einem Berner Stadtpark. (Bild: Markus Hofmann)

Wiederkehrende Ereignisse wie Geburtstage, Weihnachten oder Schulbeginn vermitteln Halt im Strom des Alltags. In einigen Schweizer Städten gibt es seit einigen Jahren ein neues solches Ritual: die Aufregung über Saatkrähen. Spätestens ab März, wenn die Saatkrähen in den Bäumen mit dem Nestbau beginnen, schwillt die Diskussion an: Was tun gegen die Saatkrähen, die mit ihrem Gekrächze, ihrem Singen und ihren Bettelrufen die Berner am frühen Morgen aus dem Schlaf reißen und am Feierabend nicht zur Ruhe kommen lassen? Wie vertreibt man die sozialen Rabenvögel, die in Kolonien nisten und ihren weißen Kot auf Gehwegen, Sitzgelegenheiten und – am schlimmsten – auf Autos hinterlassen? Nicht lange dauert es jeweils, bis die ersten Medienberichte erscheinen. „Rabenschwarze Plage“, „Vögel des Anstoßes“, „Kräheninvasion“ lauten die Schlagzeilen. Im Juni, wenn die Saatkrähen ihre Brutkolonien wieder verlassen, ebbt die Diskussion ab, um im nächsten Jahr von neuem anzuheben. Weiterlesen

Kleine Ode an den Spatz

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Ehre, wem Ehre gebührt. Und der Haussperling hat solche verdient. Heute ist sein Tag: Am 20. März wird weltweit der „World Sparrow Day“ gefeiert. Ein Anlass, um an die Gefährdung des eigentlich so vertrauten Singvogels zu erinnern.

Mit seiner Nähe zum Menschen nimmt der Sperling eine symbolische Brückenfunktion ein. Er steht nicht nur für die Verbindung von Mensch und Natur, sondern auch für Vernetzung alles Lebendigen. Weiterlesen

Das ewige Leben der Nachtigall in Gefahr

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Nachtigall: In England unter Druck. (Bild: Vogelartinfo, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12915842)

Äusserlich ist der Vogel unscheinbar. Doch sein Gesang hat Dichter zu poetischen Höhenflügen verführt. Die Nachtigall-Männchen sind die Boten des Frühlings. Sie werben anders als viele andere Vogelarten auch in der Nacht mit sehr komplexen Strophen um Weibchen und locken Menschen an, die den Gesang als äusserst wohlklingend empfinden. Da sich Verliebte auch gerne nächtens treffen, wurde die Nachtigall zum Symbol der Liebe.

Wie die Liebe soll die Nachtigall ewig leben, schrieb der englische Romantiker John Keats (1795 bis 1821) in seiner “Ode an eine Nachtigall”:

“Du stirbst nicht, Vogel, du lebst ewiglich!
Nein, dich zertritt kein hungriges Geschlecht.”

Doch nun könnte tatsächlich ein “hungriges Geschlecht” die Nachtigallen  “zertreten”. Gerade in Keats Heimatland: Denn Lodge Hill in Kent soll überbaut werden. Weiterlesen

Als die Bilder voller Vögel waren

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Roelant Savery: Turmruine am Vogelweiher (1618).

In Dresden, in der Kunsthalle im Lipsiusbau, kann man derzeit die Entdeckung der Landschaft erleben. Im 16. und 17. Jahrhundert schufen flämische Maler idealisierte Panoramen der Welt, die unser Landschaftsbild bis heute prägen. Nach und nach füllte damals auch die Natur die Bilder. Es war die Zeit der Entdeckungen, die exakten Naturwissenschaften entstanden, die Zoologie verlangte eine genaue Betrachtung der Tiere und Pflanzen von nah und fern.

Und so bevölkern Tiere aus  Europa und Übersee die Landschaften. Vor allem auch Vögel werden oft naturgetreu ins Bild gesetzt: Spechte, Eichelhäher, Schwäne, Enten, Kraniche, Papageigen, Paradiesvögel. Ein ornithologisches Panoptikum. Weiterlesen

Wie man mitten in der Grossstadt aus der Menschenwelt ausbrechen kann

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Eine Frau und ein Mann schauen uns mit fragend-spöttischem Blick an. Unsere Ferngläser sind nach oben gerichtet. Obwohl der Oktober gerade erst begonnen hat, hat es in der Nacht geschneit. Hier oben, auf einem Pass in den Berner Alpen, liegt die Landschaft unter einer weissen Decke begraben. Langsam bricht die Sonne durch die Wolken. Herrliches Ausflugswetter. Während sich das Paar für einen Spaziergang auf den verschneiten Wegen rüstet, haben wir, eine Gruppe von Vogelbeobachtern, nur Augen für den Himmel. Der Mann tritt an uns heran und fragt, was wir sehen würden.

Wir sehen: das Offensichtliche. Hunderte von Zugvögeln – Finken, Tauben, Drosseln, Greifvögel – fliegen vom Norden her teilweise nur wenige Meter über unseren Köpfen in Richtung Mittelmeer. Die beiden Wanderer legen ihre Köpfe in den Nacken. Und jetzt erkennen sie auch, was wir sehen: die vielen schwarzen Punkte, die in stetigem Auf und Ab über den weißen Bergrücken navigieren. Man spürt förmlich, wie die beiden etwas gewahr werden, was sie nie zuvor beachtet haben.

Mit einem entspannten Lächeln im Gesicht verabschieden sie sich bald wieder von uns und machen sich auf den Weg in die winterliche Landschaft. Über ihnen und uns ergießt sich weiterhin ein schier endloser Strom von Vögeln in den Süden. Eines der spektakulärsten Naturereignisse spielt sich hier vor aller Augen ab – und doch sehen es nur wenige. Weiterlesen