Künstlerische Demut in der Twingischlucht

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„Umbelliferae“ von Barbara Gschwind an der LandArt 2016 im Binntal. (Bild: Markus Hofmann)

Das Oberwallis ist weiss gesprenkelt. Auf grünen Weiden reckt sich der Bärenklau empor. Auch an steilen Hängen, wo keine Tiere mehr das Gras fressen, zeigen Doldengewächse ihre hellen Blütenstände: Das Laserkraut erobert sich Wiese um Wiese zurück, sobald die Beweidung durch Schafe aufgegeben worden ist. Das Weiss der regenschirmförmigen Dolden korrespondiert mit den Schneespitzen der Walliser Berge und den darüber hinziehenden Wolken.

Diese Pflanzenfamilie, die die Landschaft prägt, hat die Luzerner Künstlerin Barbara Gschwind zu ihrem Motiv gemacht. Auf Felswände hat sie mit weisser Farbe «Umbelliferae», wie die Doldengewächse lateinisch heissen und wie auch der Titel von Gschwinds Werk lautet, in Übergrösse gemalt: mit klarem, einfachem Strich, dafür umso wirkungsvoller. Die Blumen, die an Höhlenmalereien erinnern, sind einer von insgesamt 15 Beiträgen zur diesjährigen «LandArt Twingi» im Landschaftspark Binntal. Heuer findet diese jährliche Open-Air-Ausstellung zum zehnten Mal statt.

Schauplatz ist die Twingischlucht, die einstige Pièce de Résistance des Binntals. Seit Mitte der 1960er Jahre lassen die Autofahrer auf ihrem Weg nach Binn die Schlucht dank einem Tunnel rechts liegen. Die alte, nicht asphaltierte Strasse ist zum Wanderweg und zur Mountainbike-Strecke geworden – und beherbergt im Sommer die «LandArt». Eigentlich bedürfte diese enge Schlucht keiner zusätzlichen Inszenierung. Die fast senkrechten, von Steinschlag und Lawinenniedergängen zerfurchten Felswände, die alten Föhren, die Wasserfälle, die ihre Fracht in die Binna entladen, an deren schattigen Ufern auch im Sommer noch Schnee liegt, sind eindrücklich genug. Am vielversprechendsten ist daher diejenige Kunst, die schon gar nicht den Versuch wagt, dem Grandiosen der Umgebung Gleichartiges gegenüberzustellen, sondern die den Blick für Details öffnet. Weiterlesen

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Kunst gesucht – ornithologisches Juwel entdeckt

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Steinadler im Museo Ciäsa Granda in Stampa. (Bild Markus Hofmann)

Da ist grosse Kunst (fast) zur Nebensache geworden. Angezogen von einem prägenden Künstler des letzten Jahrhunderts, entdecke ich eine prächtige ornithologische Sammlung mitten in den Alpen.

Das Bergell, das südliche Bündner Tal, feiert derzeit einer seiner grossen Künstler. Vor 50 Jahren starb Alberto Giacometti, der 1901 in Borgonovo zur Welt gekommen war. Höhepunkt der Ausstellung zum Gedenkjahr ist das Atelier Giacomettis in Stampa, das sich erstmals öffentlich besichtigen lässt. Und selbstverständlich werden Werke von Giacometti gezeigt, vor allem solche, die im Bergell entstanden sind. Wer Giacometti mag, ist von den Porträts, Stillleben und Landschaftsbildern im Museo Ciäsa Granda in Stampa mehr als angetan.

Das Museo Ciäsa Granda ist aber mehr als ein Kunstmuseum. Es ist auch das Bergeller Talmuseum, das Geschichte und altes Handwerk dokumentiert und über eine beachtliche geologische Abteilung verfügt. Natürlich dürfen auch Wolf und Bär nicht fehlen. Vor allem aber bietet das Museum eine überraschend umfangreiche ornithologische Sammlung. Nicht nur die einheimischen Vogelarten finden sich in rund 50 Dioramen präsentiert. Auch etliche „ausserbergellische“ Arten wie Grossmöwen und Limikolen sind zu sehen. Weiterlesen

Nachglühen: Leuchtkäfer-Kunst

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„Glühbahnen“ von Marianne Engel in der Stadtgärtnerei Zürich. (Foto: Markus Hofmann)

Noch bis zum 17. Juli dauert „Fireflies!“, die Leuchtkäfer-Kunstausstellung in der Zürcher Stadtgärtnerei. In dieser kleinen, aber feinen Ausstellung zeigen verschiedene Künstler Werke, bei denen sie sich von Glühwürmchen inspirieren liessen. Am besten gefällt mir die Arbeit von Marianne Engel. Sie bildet die Natur nicht mehr oder weniger verfremdend ab, sondern bei ihr wird die Natur wirklich Teil des Werks. In der Fotoserie „Glühbahnen“ macht sich Engel die Biolumineszenz der Glühwürmchen zunutze: Leuchtkäfer belichteten den Fotofilm direkt. Die Fotos überzeugen ästetisch, strahlen aber auch etwas Beunruhigendes aus. Man ahnt, wie rasch Schönheit vergeht und das Dunkle hinterlässt.

Fast ganz dunkel wird es in der „Pilzgarage“. Dort hat Engel verschiedene Objekte (Wurzeln, kleine Bäume, Hasenkadaver, Pilze) mit Leuchtpigmenten gefärbt. Erst wenn sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, erschliesst sich dem Betrachter das schwache Glühen. Es beginnt zu leuchten, was man in der überbelichteten Zivilisation nicht (mehr) sieht.

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Es braucht etwas Geduld, bis man in der „Pilzgarage“ das Leuchten verschiedener Objekte wahrnimmt. (Bild: Markus Hofmann)

Abfall – Nachlass des Künstlers

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„Where the Slaves Live“ von Adrian Villar Rojas in der Fondation Louis Vuitton in Paris. (Bild: Markus Hofmann)

Was hinterlässt ein Künstler der Nachwelt? Seine Werke. Bilder, Bücher, Skulpturen, Musikstücke. Doch nicht nur. Wie von allen anderen Menschen bleiben auch von ihm Spuren seines alltäglichen Lebens zurück. Gegenstände, die wie die Kunstwerke die Zeit ihres Erschaffers überdauern, die nach dem Tod aber zu Abfall werden. Kleidungsstücke, Schuhe, Utensilien aller Art.

Viele dieser Objekte bleiben genauso wie die Kunst der Nachwelt erhalten. Nichtabbaubare Plastikteile enden in der Natur, wo sie Fossil-ähnlich Jahrhunderte überdauern. Die von den Menschen verursachten Treibhausgasemissionen beeinflussen das Klima möglichweise über Jahrtausende. Nach dem Tod des Menschen wirkt seine ehemalige Präsenz lange nach. Der Mensch verschwindet nicht „wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“, wie Michel Foucault schrieb. Er hat sich der Erde bereits tief eingeschrieben. Weiterlesen

Park statt Museum

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Am Heimplatz in Zürich entsteht ein neues Kunsthaus. Andere hätten hier lieber Bäume gesehen. (Bild: Markus Hofmann)

Es ist eine der besten Lage in der Stadt Zürich. Der Heimplatz. Hier sind derzeit die Baumaschinen aufgefahren. Der Stararchitekt David Chipperfield und sein Team setzen hier, so hofft es die Stadt, ein neues Wahrzeichen, die Erweiterung des Kunsthauses Zürich. Ein schöner Bau, wie die Baupläne verraten, und ein Bau, den die Kunst und Zürich verdient haben. Dennoch: Wäre es nicht noch schöner gewesen, hier einen Park anzulegen? Einen kleinen Central Park à la Zürich? (Den Erweiterungsbau hätte man am Stadtrand bauen können, womit man die Peripherie aufgewertet hätte.)

Ich wüsste auch einen Starparkgestalter, der in seinem Fach einen genauso guten Ruf geniesst wie Chipperfield in seinem: Gilles Clément. Weiterlesen