
Es ist das Werk, das an der Manifesta in Zürich am meisten zu reden gibt: „The Zürich Load“ von Mike Bouchet. Wer am 24. März 2016 in der Stadt Zürich auf die Toilette ging, ist hier, wenn man so will: verewigt. 80 Tonnen Klärschlamm, die an diesem Tag anfielen, hat Bouchet zu Quadern gepresst und zu einer Skulptur gefügt. Auch wenn Bouchet und Mitarbeiter der Kläranlage Werdhölzli viel unternommen hatten, um den Gestank zu beseitigen, so sorgte dieser zu Beginn der Ausstellung für Aufregung im Quartier. Derzeit liegt nur noch ein leichter Ammoniakgeruch in der Luft der Halle im schicken Löwenbräu-Areal. Die Hinweise auf die Ungefährlichkeit des Werks sowie die Möglichkeit, die Kot-Skulptur auch von der anliegenden Terrasse aus zu betrachten, wirken etwas übertrieben. Doch das mag an der Nase des Betrachters liegen.
Die Belüftung tut ihren Dienst und vertreibt unliebsame olfaktorische Reize. Die Lüftungsanlagen sind selbst zu einem Teil der Skulptur geworden.
Trotzdem: Man ist ziemlich alleine mit „The Zürich Load“. Einige Besucher nehmen sich eine Nase voll und sind gleich wieder draussen. So lässt sich ungestört die Struktur des gepressten Fäkalienschlamms studieren. Die Scheisse hat ihren ästhetischen Reiz.
Ist dieser verklungen, beginnt man zu grübeln. Was will Bouchet mit diesem Werk? Zeitgenössische Kunst funktioniert als Assoziationsmaschine. Und dies ist hier nicht anders. Über die Freud’sche Verdrängung unserer Fäkalien bis hin zum modernen Gewässerschutz lässt sich anhand von „The Zürich Load“ nachdenken. Gerade etwa hat die Eawag zwei einschlägige Neuigkeiten publiziert. Zum einen lässt sich in Gewässern anhand von der DNA, die aus dem Kot von Tieren stammt, die Artenvielfalt bestimmen. Zum anderen hat man festgestellt, das Antibiotikaresistenzgene in Seen gehäuft dort vorkommen, wo das Abwasser aus Kläranlagen eingeleitet wird.
Auch über die Möglichkeiten, den Klärschlamm zu nutzen, kann man sinnieren. In der Schweiz darf er seit 2006 nicht mehr in der Landwirtschaft ausgebracht werden, sondern er wird wie andere Siedlungsabfälle entsorgt und in Energie umgewandelt. Allerdings gehen dabei wertvolle Ressourcen verloren wie etwa Phosphor. In Zürich will man diesen nun rückgewinnen; ein entsprechendes Projekt läuft.
Übrigens: Würde man den Kot aller Menschen zur Gewinnung von Biogas nutzen, könnten damit 138 Millionen Haushalte mit Energie versorgt werden. Vor allem in Ländern, die über keine oder nur ungenügende sanitären Anlagen verfügen, wäre die Verwendung menschlichen Kots zur Energiegewinnung sinnvoll. Getrocknet und verkohlt ist der Energieinhalt von menschlichen Fäkalien mit demjenigen von Kohle vergleichbar.
© Markus Hofmann