Eine kalte Dusche für alle: So schlecht steht es wirklich um die Umwelt

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59, 36, 5.

Diese Zahlen sollte man sich merken. Sie veranschaulichen die massiven Umformungen der Erde durch den Menschen.

59 Prozent der Biomasse unter Wirbeltieren machen Nutztiere aus. 36 Prozent sind Menschen. Und lediglich 5 Prozent sind Wildtiere: Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien.

Das wilde Wirbeltier-Leben: Das sind 5 Prozent. Nicht mehr. Der Rest ist Mensch oder menschengemacht.

Es gibt noch eine andere Zahl, die einfacher zu merken ist: 70.

Mehr als 70 Prozent der Erdoberfläche hat der Mensch verändert.

Oder: Die vom Menschen künstlich hergestellten Produkte könnten demnächst die gesamte Biomasse überwiegen.

Diese Zahlenreihen liessen sich fast beliebig fortsetzen. Es sind sind Daten, die die gestalterische Kraft des Menschen veranschaulichen. Dass diese Kraft nicht nur zum Wohle der Menschen wirkt, darauf macht nun nochmals eine Gruppe von renomierten Forscherinnen und Forschern aufmerksam, darunter etwa Paul R. Ehrlich und Mathis Wackernagel.

Sie weist gar mit Nachdruck darauf hin, dass die Umweltbedingungen der Zukunft viel schlimmer ausfallen werden, als viele – auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – derzeit glauben (siehe dazu den Artikel „Die Katastrophe naht: Lügen sich Klimaschützer in die eigene Tasche?“).

Die Bedrohungen seien derart gross, dass selbst Experten Schwierigkeiten hätten, diese wirklich zu begreifen, schreibt die Gruppe in „Frontiers in Conservation Science“. Es sei daher eine „kalte Dusche“ notwendig, um insbesondere die Verantwortungsträger aufzuwecken.

Hier einige Befunde, die die Forscherinnen und Forscher anführen:

  • Seit Beginn der Agrarwirtschaft ist die Biomasse der Landvegetation um die Hälfte und die Biodiversität der Pflanzen um über 20 Prozent zurückgegangen.
  • In den letzten 500 Jahren sind über 700 Wirbeltierarten sowie rund 600 Pflanzenarten ausgestorben. Dazu kommen wohl noch viele Arten, deren Auslöschung unentdeckt blieb.
  • Die Populationen von gut dokumentiertern Wirbeltieren sind in den vergangenen 50 Jahren um 68 Prozent zurückgegangen.
  • In den nächsten Dekaden sind eine Million Arten vom Aussterben bedroht.
  • Durch die massive Beeinträchtigung der Biodiversität sind auch deren Leistungen stark beeinträchtigt. Das betrifft etwa die Bindung von Kohlenstoff, die Bestäubung, die Qualität von Boden, Wasser und Luft – was wiederum die menschliche Gesundheit negativ beeinflusst.
  • Wir befinden uns auf dem Weg zum sechsten Massenaussterben auf der Erde.
  • Seit 1970 hat sich die menschliche Bevölkerung verdoppelt und beträgt nun fast 7,8 Milliarden. Auch wenn die Fertilität in gewissen Regionen zurückgegangen ist, ist sie in gewissen Regionen noch immer deutlich über der Rate der Selbsterhaltung von 2,3 Kindern pro Frau. In den nächsten 30 Jahren wird sich die Bevölkerung in Subsahara-Afrika voraussichtlich von 1 Milliarde auf 2 Milliarden verdoppeln. Bis Ende 2100 könnte die Weltbevölkerung auf 9,9 Milliarden anwachsen. Dann soll ein Peak erreicht sein. Eine derart stark wachsende Bevölkerung gepaart mit mangelnder Verteilung von Ressourcen ist mit grossen Problemen verbunden, insbesondere mit fehlender Nahrungssicherheit. Zudem wächst der Druck auf die Umwelt weiter an. Die Ressourcen werden weiterhin überbeansprucht. Sozialer Unrast könnte zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen. Pandemien könnten zunehmen.
  • Der Stopp des Biodiversitätsverlustes gehört kaum in einem Land zu den politischen Top-Prioritäten. Die internationalen Biodiversitäts-Ziele, die sich die Weltgemeinschaft gegeben hat, sind bisher allesamt verfehlt worden.
  • Der im Schnitt hohe und wachsende Wohlstand kommt zu einem hohen (Umwelt-)Preis: Die Stabilität der für die Menschheit notwendigen Lebensgrundlagen ist mittel- und langfristig gefährdet. Die Menschheit beutet die Natur und die zukünftigen Generationen aus, um kurzfristige Gewinne zu machen.
  • Die international vereinbarten Klimaziele sind auf dem derzeit eingeschlagenen Weg nicht erreichbar.
  • Die politische Polarisierung verhindert eine Umweltpolitik, die die oben genannten Probleme sachgerecht angehen würde. Da die Gewinne einer solchen erst in der ferneren Zukunft eintreten, ist sie in einer von kurzfristigen Interessen dominierten Gesellschaft kaum durchzusetzen.
  • Die zunehmen negativen Auswirkungen von Biodiversitätsverlust und Klimwandel werden in den kommenden Jahrzehnten zu Massenmigration führen. Diese Entwicklung könnte die notwendige internationale Zusammenarbeit weiter gefährden.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen es deshalb als notwendig an, fundamentale Änderungen anzustreben und zwar etwa im globalen Kapitalismus, in der Bildung sowie der Gleichheit. Dafür seien unter anderem notwendig: Abkehr vom ewigen Wirtschaftswachstum, rascher Ausstieg aus den fossilen Energien, strikte Regulierung der Märkte und die Stärkung der Frauen.

Führt dieses düstere Bild nicht zu einer fatalistischen Haltung? Die Forscherinnen und Forscher verneinen dies. Sie wollen mit ihrem Bild des Schreckens die dem Menschen eigene optimistische Voreingenommenheit konterkarieren: In der Regel würde die Schwere einer Krise unterschätzt und würden die Warnungen von Experten allzu gerne in den Wind geschlagen. 

Die Wissenschaft dürfe angesichts der ernsthaften Bedrohungen nicht Gefahr laufen, die Herausforderungen zu beschönigen. Sie müsse sagen, wie es ist: „Alles andere ist im besten Fall irreführend oder nachlässig und im schlimmsten Fall potenziell tödlich für die Menschheit.“

© Markus Hofmann

 

 

 

 

 

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