Im Netz des Lebens: eine neue Humboldt-Biografie

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Alexander von Humboldt (Bild: Joseph Karl Stieler).

„Wohin der Blick des Naturforschers dringt, ist Leben oder Keim zum Leben verbreitet.“ Alexander von Humboldt, von dem dieser Satz stammt, steht seit Wochen weit oben auf den Bestseller-Listen. Schon wieder, ist man versucht zu sagen. Bereits vor ein paar Jahren gelangte Humboldt (damals zusammen mit dem Mathematiker Carl Friedrich Gauss) in die obersten Verkaufsränge. Grund war damals der Erfolgsroman „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann (verfilmt 2012). Den neuerlichen Erfolg verdankt der weitgereiste Universalgelehrte (1769 bis 1859) der Historikerin und Sachbuchautorin Andrea Wulf. Ihre Humboldt-Biografie „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ verkauft sich bestens und hat vor allem im englischen Sprachraum etliche Preise eingeheimst (das Original erschien in englischer Sprache).

Zu Recht. Wulf hat eine höchst lesenswerte Biografie geschrieben. Kundig recherchiert und packend erzählt. Neben der Erinnerung an einen fast unvorstellbar neugierigen, mutigen und produktiven Menschen ist es das Hauptanliegen von Wulf, Humboldt als Vater des Umweltschutzes zu zeichnen. Dieses Bild ist allerdings nicht ganz neu.

Humboldt hat nicht nur akribisch Daten gesammelt und diese in bester naturwissenschaftlicher Manier zu interpretieren versucht. Ihm ging es immer auch um „das Ganze“. Als Wissenschafter war er ein Kind der Aufklärung. Doch im Geist der Romantik wollte er vor lauter Einzelstudien den „Kosmos“, wie eines seiner Hauptwerke heisst (wie Wulf war auch Humboldt ein Bestseller-Autor), nicht aus den Augen verlieren. Detailstudien allein vermögen die Welt nicht zu erklären. Sie müssen vielmehr eingebettet werden in eine Gesamtsicht der Natur.

Stark beeinflusst von Johann Wolfgang Goethe, mit dem Humboldt zeitlebens in regem Austausch stand, und der Naturphilosophie von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling wollte Humboldt wissen, wie alles mit allem zusammenhängt. „Dass ich erkenne, was die Welt / Im Innersten zusammenhält“, heisst es zu Beginn in Goethes Faust, einer Figur, dem Humboldt Pate gestanden haben könnte.

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Humboldt und sein Begleiter Bonpland am Fusse des Chimborazo (1810).

Zu diesem „Allem“ gehört selbstverständlich auch der Mensch. Der steht nun aber in den Augen Humboldts nicht ausserhalb der Natur, sondern er ist Teil von ihr. Wie Pflanzen und Tiere sind die Menschen eingebunden in das „Netz des Lebens“ – was uns sehr vertraut vorkommt. Daher der Titel von Wulf: „Erfindung der Natur“ meint die Natur als ein gesamtheitliches Konzept, wie es heute oft verstanden wird. Dieser Gedanke ist die Grundlage der Ökologie und damit auch des Umweltschutzes, für den die Ökologie als Leitwissenschaft dient. Wie Wulf treffend schreibt, kann sich das Netz des Lebens auflösen, wenn man an einem Faden zieht. Humboldt sah dies deutlich und warnte bereits um 1800 vor menschengemachtem, regionalem Klimawandel infolge von weiträumigen Abholzungen.

Der zu seiner Zeit weltberühmte Humboldt regte viele weitere Naturforscher an, ja er war ihr Idol. Die Kapitel über Darwin, Thoreau, Marsh, Haeckel (von dem der Begriff „Ökologie“ stammt) und Muir gehören zu den besten in Wulfs Buch. Ging Humboldt im vergangenen Jahrhundert vor allem in den angelsächsichen Ländern immer mehr vergessen (nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man von einem deutschen Geistesriesen nichts mehr wissen), lebten seine Ideen in den Nachfolgern weiter.

(Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur. C. Bertelsmann Verlag, München 2016. 556 Seiten.)

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