Ode an den Schwarzmilan: der indische Dokumentarfilm „All That Breathes“

Schwarzmilane zu füttern, ist eine alte islamische Tradtion, der in Delhi nachgelebt wird. Szene aus „All That Breathes“ (Screenshot).

Opportunismus hilft zu überleben. Wer bei der Nahrungswahl nicht allzu wählerisch ist, frisst, was er gerade findet. Und hat so die Möglichkeit, sich fast über die ganze Welt auszubreiten.

Zu diesen Opportunisten gehört der Schwarzmilan (Milvus migrans). Ausser in Amerika kommt er fast überall vor, in Europa, Afrika, Asien, Australien. Er ist wohl die häufigste Greifvogelart der Welt. Der Bestand wird auf 4 bis 5,7 Millionen geschätzt.

Die wahrscheinlich höchste Dichte an Schwarzmilanen findet man in Delhi (hier lebt die Unterart Milvus migrans govinda). 15 Schwarzmilan-Horste pro Quadratkilometer zählten Wissenschaftler in dieser Millionenstadt.

Kein Zufall: Delhi ist für den Aasfresser ein mehr als reich gedeckter Tisch. Fressbaren (fleischlichen) Abfall findet er in der ganzen Stadt. Über der gigantischen Mülldeponie Ghazipur kreisen Tausende von Schwarmilanen.

Zudem mögen die Bewohnerinnen und Bewohner Delhis die Milane, obwohl diese gerade in der Brutzeit durchaus aggressiv werden können. Insbesondere die Muslime der Stadt pflegen zu den Schwarzmilanen eine besondere Beziehung. Gemäss einer alten islamischen Tradition ist es eine gute Tat, Schwarzmilane (und andere Tiere) regelmässig zu füttern.

Die Schwarzmilane nehmen das offerierte Futter gerne an. (Interessanterweise hilft die Fütterung durch Menschen auch dem Rotmilan in der Schweiz über die Runden; allerdings stehen dahinter keine religiösen Motive. Siehe meine Reportage bei den „Flugbegleitern“: Sie sind wieder da: Wieso die Rotmilane die Schweiz zurückerobern.)

Mit dieser Tradition sind auch die zwei Brüder Nadeem Shehzad und Muhammad Saud in Delhi aufgewachsen. Nun widmen sie ihr Leben den Greifvögeln der indischen Mega-Metropole. Seit 20 Jahren kümmern sie sich um verletzte und kranke Greifvögel, darunter nicht nur Schwarzmilane, sondern auch Eulen und Geier.

Immer wieder wurde über die beiden Brüder berichtet, die sich inmitten des grossstädtischen Chaos mit Hingabe den Vögeln widmen. Breiter bekannt wurden sie dann aber erst mit einer Reportage in der New York Times. Und seither sind sie nun auch die Hauptpersonen eines Dokumentarfilms von Shaunak Sen geworden: „All That Breathes“ hat bereits mehrere Preise gewonnen hat (u.a. in Cannes). Nun war er auch am Zürcher Filmfestival zu sehen (ab nächstem Jahr auf HBO erhältlich).

Der Film ist allerdings viel mehr als ein Porträt der beiden Brüder – und ihres sehr symphatischen Mitarbeiters Salik Rehman. „All That Breathes“ gelingt es, das Versprechen des Titels einzulösen.

Shaunak Sen zeigt, wie die Leben menschlicher und nicht-menschlicher Tiere in Delhi unauflösbar ineinanderverwoben sind. Und wie diese Leben durch die ökologischen Katastrophen des Biodiversitätsverlusts und des Klimawandels bedroht sind. Daneben flicht er die ethnischen Spannungen ein, die sich in Indien gewaltsam entladen.

Doch für mich ist „All That Breathes“ vor allem auch eine Ode an den Schwarzmilan. Wenn der Kameramann Ben Bernhard die Milane fliegend im trüben Himmel Delhis einfängt oder sie im Käfig der Tierklinik in Nahaufnahmen porträtiert: immer hat mich die Ausdrucksstärke und Persönlichkeit dieser Greifvögel beeindruckt.

Auch wenn Tausende von Schwarzmilanen über der Stadt kreisen, so zählt für die beiden Brüder und ihre Mitarbeiter jeder einzelne Schwarzmilan. Keine Mühe ist ihnen zu gross, um einem verletzten oder kranken Tier zu helfen – auch wenn man dabei schwimmend einen Fluss durchqueren muss, obwohl einem eigentlich die Kondition dazu fehlt, wie eine der eindrücklichsten Szene des Films zeigt.

Die Schwarzmilane suchen die Nähe zu Menschen, denn dort gibt es zu fressen. Nadeem Shehzad, Muhammad Saud und Salik Rehman setzen sich dieser Nähe mit allem, was sie haben, aus.

© Markus Hofmann

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