
Die amerikanische Landschaftsfotografin Jennifer Colten sucht nicht das offensichtlich Schöne. Sie fährt für ihre Bilder nicht in die vermeintlich unberührte Natur, zum Beispiel in die der Nationalparks. Sie schaut sich dort um, wo man Natur zuletzt suchen würde. Dort, wo sie verseucht ist. Dort, wo Industrien die Böden vergiftet haben.
Für ihre Bildserie „Wasteland Ecoloygy“ hat Colten Gebiete entlang des Mississippi aufgesucht, rund um St. Louis und Illinois Metro East. In diesen Industrieregionen erwartet kaum jemand blühende Landschaften. Und doch: Colten entdeckt und dokumentiert eine filigrane, aber widerstandsfähige Vegetation. Ihre Bilder zeigen die Schönheit versehrter Natur, die sich ihren Platz gegen alle Widrigkeiten zurückerobert. Aber: Die Fotografien sind beklemmend.
Da man keinen Horizont erkennt, ist es unmöglich, sich zu orientieren. Die Augen versuchen vergeblich Halt zu gewinnen. Dort erkennt man menschliche Spuren, hier ein Stück Plastik, woanders Scherben. Colten zwingt einen auf die Knie. Man ist dem Stück Natur, das Colten abbildet, direkt ausgesetzt. Und damit auch der Geschichte dieses Ortes, der vergifteten Erde, auf der sich nun wieder Pflanzen ihren Platz suchen. So könnte es aussehen nach dem Tod des Menschen.

Formal erinnert Coltens Serie „Wasteland Ecology“ an Dürers berühmtes Rasenstück aus dem 16. Jahrhundert. Auch hier begibt sich der Betrachter auf Augenhöhe mit den Gräsern, die aus der braunen Erde spriessen. Anders als bei Colten ist bei Dürer die Natur unversehrt: Das Rasenstück ist für den Betrachter ein Objekt ästhetischen Genusses.
Bei Colten sind hingegen Beobachter und Natur nicht mehr zu trennen. Der Mensch hat der Natur seinen Stempel aufgedrückt. Und dieser ist unübersehbar.

Jennifer Coltens Bilder sind derzeit in der Ausstellung „Visions of Natur“ im KunstHaus Wien zu sehen. Katalog für €26.-.