Der Mensch drängt den Wolf in die Nacht – was beiden zugutekommt

Ein Wolf tagsüber: in besiedelten Gebieten ein seltener Anblick. (Bild: M. Hofmann)

„Wolf umkreist Bauernhof mitten am Tag.“ „Unheimliche Begegnung: Hier spaziert ein Wolf am helllichten Tag durch Hannover.“ „Schwändi: Wolf am helllichten Tag nahe Dorf gesichtet – <Das schürt Angst>“.

So lauten ein paar Schlagzeilen der letzten Monate. Doch ein am helllichten Tag gesichteter Wolf ist eigentlich keine Sensation. Denn dass ein Wolf gelegentlich tagsüber irgendwo auftaucht, entspricht normalem Wolfsverhalten. Je mehr Menschen sich aber in seinem Lebensraum bewegen, desto eher verlegt er seine Aktivitäten in die Nacht.

Dies haben Forscherinnen und Forscher herausgefunden, die zwischen 2014 und 2022 Wildtierkameras an neun verschiedenen Orten in Europa (in Deutschland, Italien, Kroatien, Polen, Belarus und der Ukraine) installierten. Mit diesen beobachteten sie das Tun der grossen Fleischfresser Wolf und Luchs und setzten es in Beziehung zur örtlichen menschlichen Präsenz. Ihre Resultate sind in „Global Ecology and Conservation“ erschienen.

Es zeigte sich, dass Wölfe fähig sind, ihr Verhalten an den Menschen anzupassen. Dort, wo kaum menschliche Störungen vorkommen wie etwa in der Sperrzone von Tschernobyl, sind Wölfe am häufigsten auch tagsüber aktiv. Nimmt die Störung durch Menschen zu, so ziehen sich die Wölfe in die Nacht zurück.

Das ist ein Effekt der „Landschaft der Angst“: Fleischfresser wie der Wolf versuchen der potenziell lebensbedrohlichen Begegnung mit dem Menschen aus dem Weg zu gehen. Jahrhundertelange Verfolgung und Jagd haben tiefe Spuren hinterlassen.

Anders als der Wolf verhält sich der Luchs. Er ist von Natur aus ein nächtlicher Jäger. Gemäss der Studie ändert sich daran auch nichts mit höherem Aufkommen von homo sapiens in seinem Lebensraum.

Der Mensch macht den Wolf also zum Nachttier. In dieser wölfischen Anpassung an die menschengeprägte Umwelt liegt eine Chance, so schlussfolgern die Forscher. Dass der Wolf dem Menschen aus dem Weg geht, ist eine Voraussetzung für ein möglichst störungsfreies Zusammenleben.

So wird aus der Landschaft der Angst im besten Fall eine „Landschaft der Koexistenz“.

© Markus Hofmann

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