
Von einem Tag auf den anderen ist vieles stillgestanden. In üblicherweise hochtourig laufenden Städten kehrte Ruhe ein, als wegen der Corona-Pandemie der Bewegungsradius der Menschen drastisch eingeschränkt wurde.
Bald machten Bilder von Wildtieren die Runde, die die Menschenorte (zurück-)eroberten: Wildschweine, Pumas, Hirsche, Kojoten mitten auf der Strasse und in der Einkaufszone. Es war gar die Rede davon, dass in dieser „Anthropause“ die Natur heilen würde.
Doch es zeigt sich zunehmend, dass dem nicht so war – oder zumindest, dass man die vermeintliche Rückkehr der Natur differenziert betrachten muss.
Dies bestätigt auch eine soeben publizierte Studie, die sich in 21 Ländern die Bewegungsmuster von 163 Säugetierarten angeschaut hat. Dank an über 100 Orten verteilten Wildtierkameras (insgesamt 5400 Stück) konnten die Forscherinnen und Forscher ermitteln, wie Säugetiere auf das veränderte menschliche Verhalten während der Pandemie reagierten.
Die Resultate fallen je nach Säugetierart und Ort sehr unterschiedlich aus. Insgesamt aber lässt sich sagen, dass die Absenz von Menschen in Städten nicht zu einer generellen Zunahme von Wildtieren geführt hat.
Zudem sind die Menschen ja nicht verschwunden, ihre Präsenz hat sich lediglich verschoben. Zwar waren die Innenstädte während der Lock- und Shutdowns verwaist, doch die Menschen suchten vermehrt Parks oder Stadtwälder auf.
An diesen Orten, an denen die menschlichen Aktivitäten anstiegen, fällt ein Muster auf: Die grossen Pflanzenfresser wagten sich vermehrt aus der Deckung, während sich die Fleischfresser unter den Säugetieren rarmachten. Letztere versuchten der potenziell lebensgefährlichen Begegnung mit dem Menschen aus dem Weg zu gehen. Die Pflanzenfresser hingegen nutzten den Schutz vor ihren Fressfinden, den ihnen die Menschen boten („menschliche Schutzschild“-Hypothese).
Es gibt auch einen Unterschied zwischen Regionen, die stärker oder weniger stark entwickelt sind. In Letzteren nahm die Aktivität der Wildtiere ab, wenn sich die Menschen vermehrt breitmachten. In den mehr entwickelten Orten war das Gegenteil der Fall. Dort setzten sich diejenigen Säugetierarten durch, die ohnehin weniger Mühe mit der menschlichen Gegenwart haben. Und Tiere, die üblicherweise grössere Scheu vor Menschen zeigen, können sich mit der Zeit an den Homo sapiens gewöhnen.
Einen Einfluss auf die Präsenz der Wildtiere hat auch der Landschaftstyp. In offenen Landschaften ziehen sich Wildtiere bei höherer menschlicher Aktivität zurück. Mangels Deckung meiden Wildtiere solche „Landschaften der Angst“.
Ein vergleichbares Muster findet sich auch bei den Aktivitäten über den ganzen Tag. In stark entwickelten Regionen verlegten die Wildtiere ihre Aktivitäten in die Nacht. Vor allem grosse Fleischfresser bevorzugen bei erhöhter menschlicher Anwesenheit die nächtlichen Stunden – und noch mehr auf die Nacht konzentrieren jagdbare Fleischfresser ihr Tun.
Dank mit Wildtierkameras gewonnenen Daten hoffen die Forscherinnen und Forscher nun, Grundlagen zu schaffen, um die Schutzbemühungen je nach Region und Landschaftstyp zu verbessern.
© Markus Hofmann