
Stellen Sie sich vor: Sie sind alleine in der Wildnis. Vor welchem Tier hätten Sie am meisten Angst?
17’353 Menschen aus allen Weltgegenden haben diese Frage beantwortet. Zur Auswahl standen ihnen 221 Fotos von 184 Tierarten, die ihnen an Land begegnen könnten (also keine Haie und anderes Meeresgetier). Diese Tiere stuften sie ein nach der persönlich empfundenen Gefährlichkeit. Die Resultate der Online-Umfrage sind vor kurzem von Karl Zeller et. al. in „People and Nature“ publiziert worden.
Am meisten Angst flösst der Anblick eines Leistenkrokodils aus.
Ebenfalls weit vorne in der Angst-Skala tummeln sich die Brillenschlange (Indische Kobra), der Jaguar und das Flusspferd.
Am wenigsten Angst verbreitet das Wildkaninchen.
Irrationale Angst
Soweit alles nachvollziehbar. Krokodile, Kobras, Jaguare und Flusspferde können dem Menschen durchaus gefährlich werden. Angst ist bei der Begegnung mit ihnen also eine angemessene Reaktion. Genauso wie der Niedlichkeitsfaktor bei Kaninchen gross ist.
Doch die Umfrage brachte auch Resultate hervor, die nicht so rational zu erklären sind. Schaut man sich nicht die einzelnen Tierarten an, sondern die taxonomischen Gruppen, so lagen die Spinnen bei den Angstmachern ganz vorne – vor Schlangen, Fledermäusen, Eidechsen, Insekten und Krokodilen.
Während man sich vor Krokodilen wirklich in Acht nehmen sollte, ist dies bei Spinnen in den allermeisten Fälle nicht nötig. Lediglich 0,5 Prozent aller Spinnenarten können dem Menschen gefährlich werden.
Hier spielt also etwas anderes eine Rolle: soziale und kulturelle Faktoren – oder Biophobie.
Ganz besonders zeigte sich die grosse Abneigung Spinnen gegenüber, als den Studienteilnehmern acht Bilder gleichzeitig präsentiert wurden. Darauf waren zu sehen: ein Philippinenadler, ein Rotwolf, ein Drill (Primatenart), eine Schneider-Rundblattnase (Fledermausart), ein Amerikanischer Schwarzbär, ein Tiger, eine Östliche Gabunviper sowie eine Wolfsspinne.
Auch hier mussten die Befragten angeben, vor welchem Tier sie sich am meisten fürchteten. An erster Stelle: die harmlose Wolfsspinne.
Während knapp zwei Drittel meinten, die Spinne könne sie verletzten, gingen 30 Prozent davon aus, von ihr getötet zu werden. Fast 14 Prozent gaben sogar an, dass sie Angst hätten, von der Spinne gefressen zu werden.
Knapp hinter der Spinne in der gefühlten Gefährlichkeit: die Gabunviper; das ist zwar eine grosse Giftschlange, aber zu Bissunfälle kommt es selten. Dann folgten: Tiger, Schwarzbär, die Fledermaus, der Drill, Rotwolf und am Schluss der mächtige Philippinenadler.
Elterliches Vorbild entscheidend
Für die Spinnenphobie gibt es vor allem drei Gründe: Ekel, Missverständnisse und mangelndes biologisches Wissen. Viele Menschen etwa denken, dass Spinnen häufig Menschen töten – zu Unrecht. Zwar gibt es ausserhalb von Europa einige Spinnenarten, deren Gift dem Menschen gefährlich werden kann. Doch hierzulande muss niemand vor Spinnen Angst haben.
Die Abneigung und Angst gegenüber Spinnen ist meistens soziokulturell begründet. Sie werden erlernt. Wichtig ist daher, wie Eltern bei der Begegnung mit Spinnen vor ihren Kindern reagieren: abweisend und ängstlich oder interessiert und gar wertschätzend? Töten sie die Spinnen in der Wohnung, verfrachten sie sie sorgfältig nach draussen oder lassen sie sie in Ruhe ? Es braucht keine eigenen negativen Erfahrungen mit Spinnen, um zum Spinnenphobiker zu werden. Das elterliche Vorbild genügt.
Die Forschung macht noch eine weitere wichtige Ursache fest, die dazu führt, dass sich Menschen vor eigentlich ungefährlichen Tieren fürchten: die Entfremdung von der Natur. Biophobie, also die Angst vor Lebewesen, ist denn auch vor allem in urbanen Gegenden verbreitet. Und sie nimmt zu.
Dies kann zur Folge haben, dass Arten, denen wenig oder gar keine Sympathie zukommt, nicht oder kaum in den Genuss von Schutzmassnahmen kommen.
Es braucht also, so die Forscherinnen und Forscher, mehr positive Erfahrungen mit der Natur, um der Biophobie zu begegnen oder sie zu heilen. Die beste Medizin ist daher: die Natur beobachten. Und dies kann man überall. Auch in der eigenen Wohnung, wo es meistens genügend Studienobjekte gibt. Spinnen, zum Beispiel.
Diese Spinnen-Literatur kann ich empfehlen:
- Wolfgang Nentwig et. al.: Spinnen. Alles, was man wissen muss. Springer. Berlin 2022.
- Jan Mohnhaupt: Von Spinnen und Menschen. Hanser. Berlin 2024.
© Markus Hofmann
Das elterliche Vorbild spielt offenbar eine grosse Rolle. Ich habe erst im späteren Erwachsenenalter von meiner Mutter erfahren, wie sehr sie sich vor manchen Tieren fürchtete, aber nicht wollte, dass wir es von ihr übernehmen. Im Nachhinein bin ich sehr dankbar dafür, wenn ich das impulsive Entsetzen und unvernünftig wilde Schlagen bei anderen beobachte.
Ich kenne übrigens einige Menschen, die über die Faszination des Fotografierens ihre Abneigung überwinden lernen, also: auch über das Interesse lässt sich das irrationale Element zunehmend beherrschen .
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Danke für den Kommentar. Der Hinweis auf das Fotografieren gefällt mir sehr gut. Naturfotografie erfordert eine sehr genaue Beobachtung und fördert das Verständnis.
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