Nichts wie weg: Wölfe nehmen vor menschlichem Geplauder Reissaus

Hat da jemand etwas gesagt? Wölfe reagieren auf menschliche Stimmen mit Flucht. (Bild: Markus Hofmann)

Wer hat Angst vor dem bösen grossen Wolf?

Die Beutetiere des Wolfs haben allen Grund dazu.

Ganz anders als die Menschen.

In ihrem Fall ist es gerade andersrum: Der Wolf hat gehörig Angst vor dem Menschen. Es genügt ein menschliches Geplauder. Und weg ist der Wolf.

Dies konnten Forscherinnen und Forscher in Polen filmisch dokumentieren. Die Ergebnisse des Experiments von Katharina Kasper et. al. ist in Current Biology erschienen.

Die Versuche fanden im Tuchola Wald in Nordpolen statt, einem typischen von Menschen genutzten Wald. Seit 20 Jahren sind Wölfe zurückgekehrt. Derzeit leben schätzungsweise 15 Rudel dort. Die Wölfe sind geschützt, doch es kommt immer wieder zu illegalen Tötungen.

Um herauszufinden, wie Wölfe auf Menschen reagieren, wurden an 25 Stellen Wildtierkameras aufgestellt. Diese Kameras wurden mit Audiogeräten verbunden. Jedesmal, wenn die Wildtierkameras ausgelöst wurden, wurde ein zufällig ausgewähltes Playback gespielt: Die Wölfe bekamen menschliche Stimmen (polnisch, in normaler Gesprächslautstärke) und als Kontrolle Vögel (etwa Eulen oder Rabenvögel) sowie Hundegebell zu hören.

Die Forscher hielten nicht nur die Reaktionen der Wölfe auf die abgespielten Laute fest, sondern auch die Reaktionen ihrer Beute (Rothirsch, Reh, Damhirsch und Wildschwein). So konnten sie 101 Wolfsaufnahmen und 225 Aufzeichnungen der Beutetiere auswerten.

Super-Prädator Mensch

Die Videoaufnahmen zeigen das Verhalten der Wölfe eindrücklich: Während der Ruf einer Eule ein etwas überraschtes und aufmerksames Innehalten auslöst, fallen die Reaktionen auf das Hundegebell und die menschlichen Stimmen ganz anders aus.

Vernehmen die Wölfe das Bellen von Hunden zucken sie zusammen und machen sich rasch vom Acker. Doch noch viel schneller räumen sie das Feld, wenn eine menschliche Frauen- oder Männerstimme ertönt. Man sieht den Wölfen förmlich an, welcher Schreck beim menschlichem Geplauder durch ihre Glieder fährt.

Dasselbe Muster gilt auch für die Beutetiere des Wolfs, die in diesem Experiment untersucht wurden.

Es ist deshalb kein Zufall, dass Wölfe dort, wo Menschen präsent sind, ihre Aktivitäten in die Nacht verlegen, wie viele andere Wildtiere auch (siehe dazu auch diese Umweltnotiz).

Die Landschaft der Angst prägt das Verhalten. Dort, wo der Super-Prädator Mensch fehlt, wie zum Beispiel in der Sperrzone von Tschernobyl, sind Wölfe auch häufiger am Tag aktiv.

Damit sich Wölfe „natürlich“ verhalten, ist also die Absenz der Menschen notwendig. Der Schutz des Wolfs allein genügt nicht, wie das Experiment in Polen zeigt.

Der menschliche Super-Prädator verbreitet weltweit Angst und Schrecken unter den Wildtieren, auch Generationen nach einem Jagdverbot. Im Falle der Wölfe wird dies auch so bleiben, solange das „Wolfsmanagement“ die Tötung von Tieren vorsieht (wie zum Beispiel in der Schweiz). Zudem ist die Wilderei von Wölfen noch immer verbreitet.

Nicht böse, sondern hungrig

Die Angst der Wölfe kann man sich beim Wolfsmanagement aber auch zunutze machen. Dort wo Menschen sind, nehmen Wölfe Abstand. Mit dem Playback von menschlichen Stimmen lassen sie sich vertreiben.

Und klar ist: Was den Wolf in die Nähe der Menschen lockt, ist nicht der Mensch, sondern der Hunger. Die Menschen bieten hervorragende Nahrungsquellen: vom fressbaren Abfall bis zu Nutztieren.

Ein Wolf, der dem Menschen zu nahe kommt, ist kein böser Wolf, sondern ein sehr hungriger: einer, dessen Hunger die Furcht vor dem Menschen übersteigt.

Für ein möglichst friedliches Nebeneinander von Mensch und Wolf muss daher die vom Menschen gebotene Nahrung weggeräumt oder für den Wolf unerreichbar gemacht werden, etwa durch Herdenschutz.

© Markus Hofmann

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