Schönheit geht vor: Auch Wissenschaftler bevorzugen charismatische Vogelarten

„Plump“ und ohne Auffälligkeiten, die Gartengrasmücke wird gerne übersehen. (Bild: Biillyboy / CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11427509)

Die Gartengrasmücke ist das Aschenbrödel unter den hiesigen Singvögeln. „Anonyme Erscheinung, eine oliv braun-graue, eher plumpe Grasmücke ohne auffallende Kennzeichen.“ Viel weniger euphorisch lässt sich ein Vogel kaum beschreiben wie in der „Bibel“ der Vogelbeobachter, dem Kosmos-Vogelführer von Lars Svensson.

LBB – die Vernachlässigten

LBB, „Little Brown Birds“, nennt man in der Birder-Sprache die kleinen, bräunlichen und unauffälligen Vögel, die schwierig voneinander zu unterscheiden sind – zumal dann, wenn sie stumm sind und nicht ihre unterschiedlichen Gesänge ertönen lassen.

Durchaus nachvollziehbar ist es, wenn Sichtungen der LBB nicht gerade Jubelschreie hervorrufen. Der Mensch als Augenwesen lässt sich von Buntem, nicht von Braun-Grauem verführen, wie in den „Umweltnotizen“ bereits vermerkt wurde. Uns gefallen die charismatischen Arten besser als die unscheinbaren.

Überraschend allerdings ist es, wenn selbst Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Schönen und Bunten den Vorzug geben. Dies ist offenbar der Fall, wie die Analyse von über 27.000 Studien aus über 50 Jahren ornithologischer Forschung ergab. Silas E. Fischer u.a. veröffentlichten die Anaylse in „Proceedings of the Royal Society B“.

Die Auswertung bezieht sich auf Nordamerika. Doch es ist davon auszugehen, dass es in anderen Regionen ebenfalls zu solchen Bevorzugungen der Attraktiven und damit zu Verzerrungen bei der Erforschung von Vogelarten kommt.

Je höher ein Vogel im Ranking der Charakteristiken platziert ist, die der Mensch mit Schönheit verbindet, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass er erforscht wird. Das passt eigentlich so gar nicht zu der von der Wissenschaft angestrebten Objektivität. Es wäre verfehlt, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dabei böse Absicht zu unterstellen. Aber sie sind eben auch nicht frei von Vorurteilen.

Lücken in der Weltwahrnehmung

Diese Bevorzugung charismatischer Arten hinterlässt Lücken in der Forschung und damit auch in der Wahrnehmung der Welt. So stellten die Forscher fest, dass einige Vogelarten in gar keiner der untersuchten Studien im Zentrum standen wie zum Beispiel die Schwarzkinn-Ammer.

Immerhin: Diesem Schicksal ist bei aller Unscheinbarkeit „unsere“ Gartengrasmücke entgangen. Sie ist immer wieder in den Fokus der Ornithologinnen und Ornithologen gerückt. So wurde vor kurzem ihr Habitat im Kanton Glarus genauer unter die Lupe genommen.

© Markus Hofmann

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