
Nicht mit den Flügeln schlagen. Sondern Aufwinde suchen und dann: gleiten, gleiten, gleiten. Mit minimalen Körper- und Flügelbewegungen steuern. Energieverluste minimieren. Und: gleiten, gleiten, gleiten.
Steinadler sind Meister darin, Luftströmungen so zu nutzen, dass sie mit möglichst geringem Energieaufwand grosse Distanzen zurücklegen können. An schönen Tagen lassen sie sich in den Bergen gut beobachten, wie sie in grosser Höhe kreisen, ohne mit den Flügeln zu schlagen.
Doch diese energieeffiziente Fortbewegung ist den Steinadlern nicht in die Wiege gelegt und will gelernt sein, wie Forscher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz herausgefunden haben.
Sie rüsteten in den europäischen Zentralalpen 55 junge Steinadler, die gerade flügge geworden sind und ihren Horst verlassen haben, mit GPS-Sendern aus und verfolgten deren Streifzüge während bis zu drei Jahren. In dieser Zeit weiteten die Steinadler ihren Lebensraum enorm aus.
Die Zentralalpen, die sich von Slowenien über Österreich, Deutschland und der Schweiz bis Italien erstrecken, bedecken eine Fläche von 190’544,7 km2. Wenn die jungen Steinadler ihre Umgebung zu entdecken beginnen, beschränken sie sich auf ganz einen kleinen Teil davon.
An nahegelegenen Gebirgskämmen, an denen Aufwinde leicht vorhersehbar sind, üben sie die Kunst des Gleitflugs. In der ersten Woche der Emigration beträgt der „fliegbare Raum“ („flyable area“) gerade einmal 0,038 Prozent des gesamten Zentralalpenraums.
Mit der Zeit aber wagen sich die Steinadler auch in flacheres Gelände vor, das schwieriger im Gleitflug zu bewältigen ist. Die Aufwinde sind hier weniger gut zu erkennen als im Berggebiet.
Je älter die Steinadler werden, desto mehr dehnt sich der „fliegbare Raum“ aus. Nach drei Jahren beträgt er 81 Prozent der gesamten Alpenregion. Somit vergrössert sich der Lebensraum der Steinadler innerhalb dieser Zeit um das 2170-Fache.
Solche Untersuchungen, die zeigen, wie sich das Verhalten von Wildtieren über die Zeit entwickelt, helfen beim Schutz dieser Tiere. Dank detaillierten Verbreitungs- und Bewegungskarten können etwaige Konflikte mit menschlichen Infrastrukturen wie zum Beispiel Windparks erkannt werden.
© Markus Hofmann