
Gelegentlich schicken mir Bekannte Tonaufnahmen von Vogelgesängen oder -rufen mit der Bitte um Bestimmung der Art. Im Frühling erhielt ich eine WhatsApp-Nachricht mit einem sehr typischen Ruf: ein monotones „rüü“, „rüü“, „rüü“ (hier ein Beispiel zum Hören). Es ist der sogenannte Regenruf des männlichen Buchfinken. (Weshalb manche den Ruf auch als ein „trüb“, „trüb“, „trüb“ interpretieren.)
Wie der Name sagt, soll dieser Ruf, der sich übrigens regional unterscheidet (genau: es gibt Buchfink-Dialekte) Regen ankünden. Diese Annahme setzte der adlige Ornithologe Ferdinand von Pernau vor über 300 Jahren in die Welt und zwar in seinem Buch von 1707, dessen barocker Titel hier unbedingt vollständig zitiert werden soll: „Unterricht, was mit dem lieblichen Geschöpff, denen Vögeln, auch ausser dem Fang, nur durch die Ergründung deren Eigenschafften und Zahmmachung oder anderer Abrichtung, man sich vor Lust und Zeit-Vertreib machen könnte.“
Seit damal gehört es zu jeder Vogelexkursion dazu, dass irgendein Spassvogel beim Hören des Regenrufs sich bemüssigt fühlt, auf einen baldigen Wolkenbruch hinweisen zu müssen. Ob dieser Ruf irgendeine meteorologische Funktion hat, ist allerdings fraglich. Die einen sagen so, die andern so (es gibt drei Studien, die für die Regenhypothese argumentieren, und drei, die es genau anders sehen).
Deshalb nahmen sich Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz die Frage nochmals vor: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Regenruf der Buchfinken und dem Wetter?
Dafür verwendeten die Wissenschaftler zum einen 242 Regenruf-Aufzeichnungen der Datenbank „Xeno-Canto“, auf der jedermann Tonaufnahmen von Tieren speichern kann. Zum anderen führten sie zwei methodisch unterschiedliche Studien mit eigenen Aufzeichnungen von Buchfinkrufen während der Brutsaison – denn nur dann ist der Regenruf zu hören – in Bayern durch. Die so gewonnenen Aufnahmen setzten sie mit den entsprechenden Wetterdaten in Beziehung.
Das Resultat war eindeutig. Es war statistisch kein Zusammenhang zwischen den Regenrufen der Buchfinken und Regen erkennbar. Anders gesagt: Die männlichen Buchfinken wählen nicht den Regenruf statt des Gesangs wegen schlechten Wetterbedingungen.
Weswegen denn sonst?
Nun, wohl wegen der Weibchen. Den Forschern ist nämlich aufgefallen, dass die Männchen dann besonders häufig den Regenruf äusserten, wenn sich Weibchen in der Nähe aufhielten. Möglicherweise hat der Regenruf also eine soziale Bedeutung. Da der Regenruf erst dann zu hören ist, wenn die Buchfinken bereits verpaart sind, könnte er dazu dienen, die Paarbindung zu stärken. Doch dies müsste eigens erforscht werden.
Hört man also den Regenruf des Buchfinken, bedeutet dies nicht, dass es bald regnet, sondern dass sich irgendwo in der Nähe ein Buchfinkenweibchen aufhält.
© Markus Hofmann